Psychologin Dr. Simona Palm über die Seelische Belastungen nach Totgeburt und Neugeborenentod
Der Verlust eines Kindes durch Totgeburt oder frühen Neugeborenentod stellt für Eltern eine immense emotionale Herausforderung dar. In diesem Fachartikel beleuchtet Dr. phil. Simona Palm, Psychologin, die vielschichtigen seelischen Belastungen, denen Eltern von Sternenkindern ausgesetzt sind, und zeigt Wege auf, wie Betroffene und ihr Umfeld mit dieser schwierigen Situation umgehen können.
Intensive Emotionen
Der Verlust eines Kindes durch Totgeburt oder frühen Neugeborenentod ist für Eltern eine enorme emotionale Belastung. Für die meisten Eltern stellt der Verlust ein tiefgreifendes Erlebnis dar. In der medizinischen Fachwelt wächst das Bewusstsein, dass eine Tot- oder Fehlgeburt nicht nur als gescheiterte Schwangerschaft wahrgenommen werden sollte, sondern dass es dabei um den Verlust eines Kindes geht. Nach dem Schock und dem Erledigen der wichtigsten organisatorischen Dinge, durchleben Eltern oft intensive Emotionen, wie Trauer, Liebe, Sehnsucht, Verzweiflung, Wut und Schuld.
Schuld
Nach dem Verlust eines Kindes haben viele Frauen mit Schuldgefühlen zu kämpfen, besonders wenn der Verlust während der Schwangerschaft eintrat. Da ihr eigener Körper der Schauplatz des Geschehens ist, können die Schuldgefühle besonders tief verwurzelt sein. Oftmals grübeln sie über mögliche Ursachen oder Fehlverhalten nach („Hätte ich nur den Bus genommen, anstatt nach Hause zu spazieren“, Wäre ich nur früher in die Klinik gegangen»), besonders wenn die Todesursache unbekannt bleibt. Dies erschwert nicht nur den Trauerprozess, sondern hindert die Betroffenen oft daran, sich auf die schmerzlichen Gefühle von Verzweiflung und Trauer einzulassen, um diese verarbeiten zu können. Das Grübeln oder die Schuldgefühle können auch als ein Versuch verstanden werden, in einer Situation völligen Kontrollverlusts ein Gefühl von Kontrolle zurückzugewinnen.
Soziale Unterstützung
Eltern, deren Kind bereits vor der Geburt gestorben ist, berichten häufig von Isolation und Einsamkeit, im Gegensatz zu Eltern, deren Kind durch eine Krankheit oder nach der Geburt verstorben ist, und die oft mehr Unterstützung von ihrem Umfeld erhalten. Gesellschaftlich werden Fehlgeburten und Totgeburten häufig tabuisiert, obwohl Studien belegen, dass der psychische Einfluss eines solchen Verlustes dem des Verlustes eines älteren Kindes entsprechen kann. Diese Isolation wird noch verstärkt, weil Freunde und Bekannte oft nicht wissen, wie sie den Trauernden begegnen sollen, aus Angst, etwas Falsches zu sagen. Stattdessen halten sie eher Abstand, was die Betroffenen noch einsamer macht. Dabei haben die Eltern meist das Bedürfnis, über ihr Erlebtes zu sprechen oder einfach nur die Unterstützung ihres Umfelds zu spüren. Konkrete Hilfsangebote, wie Fragen zu stellen, zuzuhören, das Mitbringen einer Mahlzeit, nehmen Betroffene häufig als unterstützend war.
Abschiedsprozess als Familie
Für Paare stellt das gemeinsame Trauern eine besondere Herausforderung dar, da sie oft unterschiedliche Wege finden, den Verlust zu verarbeiten. Dies kann zu Konflikten führen, insbesondere wenn die Partner in unterschiedlichem Tempo trauern oder unterschiedliche Strategien verfolgen. Wichtig ist, diese Unterschiede zu akzeptieren und offen über Gefühle zu sprechen, um gemeinsam durch die Trauer zu gehen.
Auch Geschwisterkinder sollten altersgerecht in den Trauerprozess einbezogen werden, da sie ebenfalls einen Verlust erleben, da sie bereits eine Vorstellung von ihrem Geschwisterchen oder dem Baby hatten. Zudem nehmen sie wahr, wie die Eltern und das Umfeld intensive Emotionen durchlaufen. Es ist wichtig, die Geschwister in ihren eigenen Gefühlen ernst zu nehmen, ihnen die Möglichkeit zu geben, gemeinsam mit den Eltern den Trauer- und Abschiedsprozess zu erleben und zusammen mit ihnen einen Platz für das verstorbene Geschwisterkind innerhalb der Familie zu finden.
Rituale
Rituale können helfen, den Trauerprozess bewusst zu durchlaufen. Für viele Betroffene ist die Abdankung und später das Grab ihres Kindes ein zentraler Ort der Trauer. Einige Familien richten auch zu Hause kleine Gedenkecken mit Fotos, Kerzen und Erinnerungsstücken ein, um das verstorbene Kind im Alltag präsent zu halten. Häufig entwickeln sie individuelle, persönliche Rituale, um Abschied zu nehmen, die oft über lange Zeiträume hinweg beibehalten werden, wie beispielsweise ein jährliches Gedenken am Todestag oder dem geplanten Geburtstermin des Kindes. Diese Rituale dienen dem Zweck, die Trauer nicht zu vermeiden oder verdrängen, sondern sie bewusst zu erleben und zu verarbeiten.
Ein Artikel von Dr. phil. Simona Palm, Psychologin, Praxis «Die Psychologinnen»