Das erste Jahr als Mutter eines Sternenkindes
Die Frage nach dem Warum?
Für einen kurzen Moment hielt ich meinen freudig erwarteten Sohn in meinen Armen, dann musste ich mich für immer von ihm verabschieden. Mein Herz war erfüllt von Liebe für mein Kind und mein Körper fühlte sich an, wie der einer frischgebackenen Mutter. Doch mein geliebtes Baby, um das ich mich so gerne gekümmert hätte, war fort. Es ist tot.
Nachts lag ich oft wach, während unzählige Fragen mich quälten. Wie konnte unser Leben eine solch schreckliche Wendung nehmen? Warum musste Julien sterben? Warum konnte sein Tod nicht verhindert werden? Diese Fragen liessen mich für lange Zeit nicht mehr los.
Julien fehlt für immer
In den ersten Tagen nach Juliens Geburt hegte ich die leise Hoffnung, dass mein Leben nach meiner Rückkehr nach Hause oder nach Juliens Beerdigung dasselbe sein würde. Die Erkenntnis, dass die Beerdigung nicht das Ende sondern erst der Anfang von Juliens Fehlen in unserem Leben ist, war hart. Bei besonderen Ereignissen wie Weihnachten, Geburtstagen und Familienfesten vermissen wir ihn besonders fest - und das nicht nur im ersten Jahr nach seinem Tod, sondern auch in allen folgenden Jahren.
Wie geht es dir?
Die alltägliche Frage "Wie geht es dir?" hörte ich oft und ich empfand sie als sehr belastend. Mein Sohn ist gestorben. Das war das Einzige, was ich am liebsten jedem gesagt hätte. Doch ich hatte das Gefühl, dass viele überfordert gewesen wären, wenn ich diese Wahrheit ausgesprochen hätte. Ausserdem wird diese Frage oft nur oberflächlich gestellt, als Standardfloskel, ohne ernsthaftes Interesse an der Antwort. Trotzdem fühlte es sich für mein Mutterherz falsch an, mit "gut" zu Antworten. Es wäre, als würde ich Julien verraten und es würde dem Ausmass seines plötzlichen Todes für uns als Familie nicht gerecht werden. Die Wahrheit war, dass ich jeden einzelnen Tag unter Juliens Abwesenheit litt. Egal, wohin ich ging oder was ich tat, er hätte dabei sein sollen, doch er konnte es nicht. Sein Babybett blieb leer genau so, wie sein Platz an unserem Familientisch. Das alles fühlte sich falsch an. Wir hatten ihn fest in unserem Leben eingeplant.
Es musste also eine Strategie her, wie ich mit dieser alltäglichen Frage besser umgehen konnte, ohne mich zu sehr erklären zu müssen. Ich entschied mich dafür, Antworten wie "Heute, geht es mir..." oder "Gerade fühle ich mich..." zu geben. Sie erlaubten es mir, mich für kurze Zeit für belanglose Gespräche zusammenzureissen, ohne das Gefühl zu haben, mich und meine Gefühle zu verleugnen. Doch Gespräche mit Leuten, die von Juliens Tod wussten und so taten, als wäre nichts passiert, waren sehr verletzend.
Was mir am meisten half
Der Tod von Julien löste in mir eine eine Vielzahl starker Gefühle aus; Trauer, Sehnsucht, Wut, Verzweiflung, um nur einige zu nennen. Ich fühlte mich, als wäre ich inmitten eines Sturms auf hoher See, der mich zu ertränken drohte.
Nach Juliens Tod fühlte ich mich oft einsam, selbst im Raum voller Menschen. Was mir persönlich am meisten half, war der Austausch mit anderen Sterneneltern. Ich lernte sie unter anderem im 'Rückbildungskurs nach Kindsverlust' bei Beatrix Ulrich in Zürich kennen oder durch die Kontaktplattform sternenkinder-eltern.ch. Sie kannten den gleichen Schmerz und waren oft den gleichen Gefühlen ausgesetzt. Dadurch entstand eine tiefe Vertrautheit, obwohl ich mich mit bis dahin Fremden unterhielt.
Hoffnung
In den Tiefen meiner Trauer sehnte ich mich nach Hoffnung. Ich hoffte darauf, dass mein Herz eines Tages wieder leichter sein würde und ich hoffte darauf, dass dies nicht das Ende unserer Familiengeschichte war. Diese Hoffnung war für mich von grosser Bedeutung, denn der Schmerz drohte mich zu erdrücken.